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Klage des Wittekindsberges gegen die fortschreitende Bildung, betreffend Beilegung eines falschen Namens und gewaltsame Modernisierung.

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Es ist traurig, wenn ein Berggeist, wie ich, mit seinen Ansichten und Wünschen nicht mehr in Sage und Mähr durch den Mund des Volkes zum Volke dringen kann, und statt dessen mit gedruckten Worten zu den Klugen und Schriftgelehrten sprechen muß. So ungern aber ich mich auch unter den Journalisten nennen höre, ich muß den beliebten Weg der Öffentlichkeit ergreifen, denn Unglaubliches habe ich in dem letzten Jahrzehnt erduldet von Mode und Aufklärung, und meine Leiden müssen jedes redliche westfälische Herz, dem die Vergangenheit und die Eigenthümlichkeit seines Landes nicht gänzlich fremd geworden ist, tief rühren.

Nicht einmal meinen ehrlichen Namen hat man mir lassen können. Seit einem Jahrtausend nenne und schreibe ich mich Wittekind, und ich glaube, daß es nächst dem des Ur-Oheims Hermann keinen stolzeren Namen im ganzen Sassenlande gibt. Nun aber muß irgendein moderner Philosoph, vielleicht in den sogenannten „Deutschen Jahrbüchern“ ausgesprengt haben, :Wittekind sei kein Träger irgend einer weltgeschichtlichen Richtung, sondern nur der Vertreter eines untergegangenen Moments gewesen, soviel jedenfalls scheint gewiß zu sein, daß mein Name Wittekind förmlich in den Bann gethan ist, denn mit einer gewissen Ängstlichkeit, vielleicht in dem unbewußten Gefühl, daß er zu stolz klingt, zwischen all dem undeutschen Wesen, welches an und auf mir getrieben wird, sucht man ihn überall zu vermeiden, bald nennt man mich Berg, schlechthin, bald Margarethenclus, bald Margarethenberg. Ja, ich sehe mich sogar unter dem letzten Namen öffentlich gedruckt, und muß befürchten, daß diese unziemliche Benennung von der damals hier versammelten Liedertafel durch das ganze Vaterland verbreitet werde. Solches hat mich denn zu der feierlichen Erklärung bewogen, daß ich, mit keiner der jetzt in Deutschland beregten Emancipationen, am wenigsten mit der der Frauen einverstanden, nicht leiden kann, daß mein männlicher Name von dem einer mehrhundertjährigen Gefährtin verdrängt werde, vorzüglich da die Grethe, obwohl in Zucht und Ehren erwachsen, auf ihre alten Tage eine besondre Wirtschaft angefangen und an ehemals heiliger Stelle einen Schnapsladen eröffnet, jetzt aber, nachdem ihn, dieses Handwerk gelegt ist, sich mit einem überbunten Putz, der mir durchaus nicht gefallen kann, angethan hat.

Doch dieses sind meine Leiden noch nicht alle. Mein uralter Quell, der einzige auf dem ganzen Rücken des Gebirges, eine heilige Stelle für die heidnischen Sassen und ein hochberühmtes Taufbecken in der ersten Christen Zeit, wird so wenig unterhalten, daß die Wasser nach allen Seiten verrinnen, und nur mit großer Beschwerde würde der Durstige einen Trunk schöpfen können, wenn nicht die Industrie durch einen schmutzigen Sproß moderner Neubauern für 1/4 Silbergroschen ihn der Mühe des Bückens überhöbe, dagegen hat man nicht ermangelt, das Quellwasser zu einem recht häßlichen und übelriechenden Unkenteich zu stauen, in welchem nächstens auch einige ausländische Sumpfpflanzen gezogen werden können.

Am schauerlichsten hat die Verschönerungssucht gewütet auf der Wiese neben der Clus, wo schon vor Jahrtausenden das Allerheiligste des heiligen Haines war. Allen Erinnerungen, sowie allem guten Geschmack zum Trotz hat der jungfräuliche Rasen der Bergwiese, diesen lieblichen Lichtstelle im Walddunkel, zierlichen Schlangenwegen und Blumenbeeten weichen müssen, und alle Sträucher und Bäume des In- und Auslandes, sowie sie der selige Matthisson2) des Reimes wegen in seinen Gedichten anbrachte, haben auf dem urgeschichtlichen Boden so kräftig Wurzel gefaßt, als hätte ein Rotteck3) sie gepflanzt, und demgemäß und nebenbei verderben sie noch die freie Aussicht.

Wo unsere Vorfahren im Schatten der Eiche und Buche lagerten, da können wir jetzt mit besorgtem Matthisson rufen: „Wo jüngst wir unter Syringen4) in Dämmerlicht gingen - Auch Cytisus5) und Weihmutsfichte glänzen dort im Abendlichte - Rüstern6) flüstern - Unter duftenden Akazien scherzet Amor mit den Grazien - Durch Liguster und Spireen laue Abendwinde wehe“. Selbst die Pappelweide zittert traulich von Jasmin umgittert.

Dagegen aber werden die Waldbäume immer lichter, und wenn auch gerade ich über die mörderische Axt mich nicht so sehr beschweren kann so sehe ich doch hüben und drüben auf dem Häverstädter und Kleinenbremer Berge, was die Industrie alles zu Wege bringt. Von dem, was ich vor und hinter mir sehe, mag ich kaum sprechen, lange wird es nicht mehr dauern, so ist der Buhn, sind die Marken unter Hausberge langweiliges Ackerland, und meine Hoffnung, den Mindener Wald wieder aufsteigen zu sehen, ist auch dahin.

Und die Menschen und ihre Häuser? Noch vor 30 Jahren sah mein Bauer ganz so aus, wie einst ein Getreuer des herzoglichen Wittekind wenn er Schwert und Helm abgelegt, seinen Hof bauete. Man sah ihm an, daß er zu einem deutschen Urvolk gehörte. Jetzt wird er von Jahr zu Jahr moderner, d.h. sein Schneider, der früher mit Geschick und Geschmack arbeitete, wie es dem Lande eigen war, folgt jetzt mit Ungeschick und immer um mehrere Jahre zu spät der wechselnden Mode, so — daß der Kerl, einst so stolz in seiner Eigenthümlichkeit, wirklich Jämmerlich aussieht. Nicht viel besser geht es dem Hause des Bauern, das unser großer und guter Möser so schön beschrieben hat. (Justus Möser, Osnabrück 1720-1794 Staatsmann, politischer Schriftsteller und Geschichtsschreiber) Aus tätiger Erfahrung und herzhaftem Sinn für das Bodenständig Gewachsene und historisch Eigentümliche, in seiner Zeitschrift kernige und heitere Beiträge, volkstümlich-bäuerliche Kräfte und Überlieferungen) Wenn ich mich abends umsehe, so erblicke ich nur selten mehr die rüstigen Bauerngestalten an dem traulichen Feuer des freien Herdes, den nächtlicherweise meine Elfen und Wichteln scherzend und segnend, so gern besuchten. Nein, Aufklärung und Feuerpolizei haben den Herd aus der Mitte des Hauses in eine ummauerte Ecke getrieben, ich aber, der Berggeist, sage Euch, daß das Herz des häuslichen Lebens sich nicht ungestraft verrücken läßt.

Doch ich will auch dankend anerkennen, was man Gutes an mir getan hat. Es hat mich gefreut, daß mein Waldgruß an unsern König noch unter meinem rechten Namen gegangen ist. Löblich ist es, daß man der Margarethe das Schnapsschenken untersagte, zweckmäßig und mit Geschmack ist der neue Weg zum Turm und zur Clus angelegt, nur die Rosen an der Böschung der Treppe finde ich nicht ganz waldgerecht, und ich wünschte, daß diese , besonders aber das ausländische Zeug auf meiner Wiese recht bald ausgerauft würde. Auch über den Thurm kann ich nicht klagen, nur finde ich die Zinnen, teils von Brettern, teils von Latten, etwas häßlich und es wäre sowohl zeit- wie ortsgemäß, sie von Stein zu erbauen. Eins aber fehlt an meiner Verschönerung: eine offene Stelle auf der Höhe meines östlichen Abhangs, dieser Stirne Westfalens, damit man einen freien Blick von oben auf meinen kleinen Nachbar, den Jakobsberg hätte.

Wenn dies im Sinn und Geschmack des neuen Weges bewerkstelligt und meine Wiese nebst dem Quell von dem zu vielen Geschmack gereinigt wird, so bin ich für mich zufrieden gestellt, und ich will mich, wie ich eben mit Schrecken gewahr werde getan zu haben, als dann nicht wieder im Verdruß über zugefügte Unbill von der Mode des Weltschmerzes fortreißen lassen.

1)
Karl Knebel - Das Mindener Sonntagsblatt (1817-53) – Ausgabe von 1829
2)
Friedrich von Matthisson, seit 1809, Dichter +1831, Lyriker, ein Formtalent von klassizistischer Glätte und Sentimalität
3)
Karl von Rotteck, Geschichtsschreiber und Politiker, Führer der radikalen Linken im badischen Landtag